Nachfolgend das Manuskript der Rede, die ich auf dem dritten Symposion der Spaemann-Stiftung in München Ende Oktober 2021 hielt. Das Thema der Veranstaltung lautete: „Niedergang und Neubeginn: Zur Zukunft von Ehe und Familie in Deutschland und Europa“.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung und daß ich heute hier sprechen darf. Ich wurde gebeten, etwas über die politische Situation in Südtirol und Italien zu sagen und einen Ausblick zu wagen, insbesondere mit Blick auf Familienpolitik, Lebensschutz und Demografie.

Mein Name ist Lukas Steinwandter, bis zu meinem 26. Lebensjahr lebte ich in Südtirol, jetzt seit fünf Jahren in Berlin. Dort arbeite ich als Redakteur für die Wochenzeitung Junge Freiheit. Ich bin also eher ein Mann des geschriebenen Wortes, verzeihen Sie also bitte, wenn dieser Vortrag vielleicht einige Schwächen aufweist.

Ich war gerade wieder zwei Wochen in meiner Heimat und habe mich in der Vorbereitung auf diese Veranstaltung mit meiner Familie, Bekannten, Journalisten, Politikern und Lebensschützern zu den erwähnten Themen ausgetauscht. Mein Fazit: Lebensschutz ist hier eigentlich kein Thema. Das ist einerseits positiv, andererseits auch negativ. Es gibt auch dort Organisationen wie 1000plus, aber in meinem näheren und weiteren Umfeld, oder was man eben in den Nachbardörfern und -städten so mitkriegt, gab es bei einer „ungewollten“ Schwangerschaft immer nur einen Weg: Das ungeborene Kind zur Welt bringen. Das ist aber wie gesagt eine rein subjektive Beobachtung, konkrete Zahlen folgen noch.

Mit dem Thema Lebensschutz kam ich so richtig das erste Mal in Berlin in Kontakt, als ich als Reporter beim „Marsch für das Leben“ im Einsatz war. Es war noch nicht mal so sehr dieser stille Zug der Lebensschützer, der mich bewegt hatte, sondern das haßerfüllte Geschrei der Gegendemonstranten, das mich fragend zurückließ. Wie kann es sein, daß da Hunderte Chaoten mit den wildesten Beschimpfungen und den obszönsten Gesten gegen Kinder, Familien, friedliche Demonstranten losgehen, die niemandem schaden, sondern nur helfen wollen? Seither beschäftige ich mich beruflich wie privat mit dem Thema. Und es freut mich, Ihnen heute hoffentlich einen kleinen Einblick über Südtirol und Italien verschaffen zu können.

Vorweg kann ich schon mal sagen: Die meisten Klischees über italienische Politik sind wahr bzw. sind in der Realität noch krasser als Sie es bislang geglaubt haben und Vergleiche mit Deutschland sind schwer möglich. Ein Beispiel: Italien hatte seit dem Zweiten Weltkrieg 67 Regierungen mit 30 Ministerpräsidenten. Deutschland hatte im selben Zeitraum 23 Regierungen mit acht Bundeskanzlern.

In Italien ist es anders als in Deutschland auch möglich, daß rechte Parteien wie die Lega mit linken Parteien zusammenarbeiten. Auch in puncto Lebensschutz sind die Seiten nicht klar getrennt. Das liegt aber nicht an der Politik oder dessen System, sondern eher an der historischen und gesellschaftlichen Entwicklung Italiens. Die katholische Kirche und der Glaube sind stärker verwurzelt. Auch bei den Sozialdemokraten, beim Partito Democratico, gibt es beispielsweise Anhänger der Bewegung Comunione e Liberazione (Gemeinschaft und Befreiung), die einst aus der Katholischen Aktion hervorgegangen war. Die italienische Sozialdemokratie entwickelte sich aus einem Zusammenschluß mehrerer linker Parteien und Christdemokraten. Dort waren von Anfang an katholische Positionen stärker vertreten als es etwa hierzulande bei der SPD der Fall war.

Allerdings handelt es sich dabei um eher ältere Semester, die nach und nach wegsterben und die Parteien beginnen zudem, ihre eigenen Strukturen zu bilden, die nicht mehr katholisch geprägt sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt gerade in Sachen Lebensschutz in Italien war die Verbindung des Innenministeriums mit dem Vatikan. Es gilt als offenes Geheimnis, daß bis in die 90er Jahre hinein eine Art Verbandelung zwischen dem Innenministerium, egal welche Partei das grad besetzte, und dem Heiligen Stuhl bestand. Andere linke Parteien wie der Movimento 5 Stelle, also die Fünf-Sterne-Bewegung, schneiden Fragen wie Abtreibung nicht so offensiv an und halten sich eher zurück, dort dürften aber gerade unter den jüngeren Vertretern die „progressiven“ Positionen dominieren.

Die Für und Wider sind in Italien lagerübergreifend: Das rechte Lager ist zwar mehrheitlich kritisch gegenüber den liberalisierten Abtreibungsregelungen, kennt aber auch Unterstützer des Abtreibungsgesetzes. Das linke Lager ist tendenziell für erleichterte Abtreibungen, besteht aber zu einem guten Teil aus linkskatholischen Vertretern. Und von denen ist nicht zu erwarten, daß sie allzu kulturkämpferische Projekte mittragen würden.

Italien täte mehr Nachwuchs jedenfalls gut. Das Land hat mit 6,8 Lebendgeburten pro 1.000 Einwohner im Jahr 2020 die niedrigste Geburtenrate Europas. Zum Vergleich: Deutschland verzeichnete im selben Zeitraum 9,3 Geburten, Österreich 9,4 Geburten. In Frankreich waren es fast elf und im Kosovo mehr als 12 Geburten. Italien schrumpft, was die Bevölkerung angeht. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Südtirol ist die einzige Provinz Italiens – auch wenn einige sagen, Südtirol sei nicht Italien –, in der noch ein natürliches Bevölkerungswachstum stattfindet. Die Geburtenrate liegt bei 9,9 Lebendgeborenen je 1.000 Einwohner.

In einer anderen Kennziffer ausgedrückt: Während die Gesamtfruchtbarkeitsrate in Südtirol bei 1,71 Kindern je Frau lag, betrug sie im italienischen Durchschnitt 1,27. Südtirol ist die einzige Region mit einem positiven Geburtensaldo, das heißt: Die Anzahl der Geburten übersteigt die Anzahl der Todesfälle.

Allerdings ist dieser aktuelle Wert auch dort der niedrigste seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen. Ein Teil dieses Ergebnisses ist auch Zuwanderern geschuldet, die, wenn auch nicht mehr so viel, so aber doch immer noch mehr Kinder kriegen als Einheimische.

Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Ein wichtiger Faktor ist jedenfalls die wirtschaftliche Entwicklung. Die Geburtenrate in Italien ist dort am höchsten, wo es wirtschaftlich brummt, also in Norditalien, in den Regionen Venetien, Lombardei und Trentino-Südtirol. Und gerade viele jüngere Menschen ziehen aus Süditalien weg Richtung Norden.

Die italienische Öffentlichkeit hat das Thema seit Jahren auf dem Schirm. Doch wie oben schon angedeutet, sind die politischen Fronten nicht so klar wie in Deutschland. Exemplarisch zeigt sich das an Ministerpräsident Mario Draghi, der als früherer Chef der Europäischen Zentralbank maßgeblich für die für Sparer desaströse Finanzpolitik mitverantwortlich ist, aber das ist ein anderes Thema. Er ist übrigens der sechste ungewählte Ministerpräsident in Folge, vier von ihnen waren nicht einmal gewählte Mitglieder des Parlaments – die politischen Verhältnisse in Italien sind wie gesagt gänzlich anders als in Deutschland.

Draghis Linie hinsichtlich Lebensschutz und Familienpolitik ist nicht rein progressiv, aber dennoch ungewiß, seinem Kabinett gehören Politiker linker bis rechter Parteien an. Wie er familienpolitisch steht, ist nicht so recht klar. Im Sommer hat seine Regierung das Kindergeld völlig neu geregelt, es national vereinheitlicht und angepaßt, was gerade ärmere Familien unterstützen soll, da es einkommensabhängig ist. Es gilt bis maximal zum 21. Lebensjahr.

Vor kurzem sorgte ein interessanter familienpolitischer Vorstoß für Schlagzeilen, auch in Deutschland. Ein Wirtschaftswissenschaftler der katholischen Universität in Mailand schlug mit Blick auf die sinkende Geburtenrate vor, daß Eltern früher in Rente gehen dürfen sollen. Die Bild-Zeitung griff die Debatte als eines der wenigen deutschen Medien auf, titelte jedoch: „Schock-Vorschlag in Italien: Kinderlose sollen länger arbeiten!“ Das hatte natürlich gleich einen negativen Unterton, man könnte das auch positiver sehen. Doch auch in Italien kam der Vorschlag nicht sonderlich an und verschwand bald wieder aus der öffentlichen Debatte.

Die Hoffnung bei Ministerpräsident Draghi ist, daß er parteipolitisch nicht gebunden ist. Wenn die konservativen beziehungsweise rechten Parteien in der Regierung genügend Druck erzeugen können, ist in familien- und gesellschaftspolitischer Hinsicht viel möglich.

Doch junge Menschen dazu zu bewegen, eine Familie zu gründen, ist das eine. Das andere sind Frauen, die vielleicht ungeplant schwanger wurden oder die aus den verschiedensten Gründen sich nicht in der Lage sehen, ein Kind auszutragen, und es abtreiben wollen. Aus Sicht von Frauen, die eine Abtreibung wollen, ist das Gesetz in Italien weiter als in Deutschland. Das Gesetz 194 aus dem Jahr 1978 erlaubt den „willentlichen Abbruch der Schwangerschaft“. Dieser „freiwillige Schwangerschaftsabbruch“ ist innerhalb von 90 Tagen möglich, sieht zwar eine Beratung vor, doch die wird de facto oft untergraben.

Abtreibungen sollen laut dem Gesetz kein Mittel der Geburtenkontrolle sein. Die Einführung der sogenannten Antibabypille hat – seit der Jahrtausendwende – bereits zu einem deutlichen Rückgang der Abtreibungen geführt. Christlich gesehen macht das freilich kaum einen Unterschied. Die Anwendung der RU486, der Pille danach, ist seit Ende 2009 zugelassen. Seit 2020 ist sie auch ohne Krankenhausaufenthalt, also quasi „Do it yourself“ im Vorbeigehen möglich.

Das Gesetz 194 und die gesetzliche Lage bis heute sehen vor, daß Ärzte aus Gewissensgründen die Durchführung ablehnen können. Das wird auch spürbar in Anspruch genommen, was auf beiden Seiten regelmäßig zu Debatten führt:

Manche Lobbys (wie der Luca-Coscioni-Verein) sehen eine Benachteiligung von abtreibungswilligen Frauen, da es Orte gibt, wo kaum ein Arzt zur Abtreibung bereit ist. Das Gewissensrecht auszuhebeln, erscheint zwar juristisch leicht, wird aber politisch schwierig werden.

Der bürokratische Weg der Gewissenserklärung bringt Ärzte aber aus einem anderen Grund in einen Zwiespalt. Wenn jemand die entsprechende Erklärung unterschreibt, muß der Personalchef ihn so einteilen, daß etwa bei Wochenenddiensten gewährleistet ist, daß das Krankenhaus abtreibungswillige Frauen aufnehmen kann. Das führt de facto dazu, daß Ärzte, die kein Gewissensproblem anmelden, mehr Dienste machen als andere.

Im Übrigen schreibt der Gesetzgeber eine Beratung der Schwangeren vor, während der auch auf die Möglichkeiten eines Abbruchs hingewiesen wird, und bei der die Bedingungen einer solchen abgeklärt sein müssen. Diese können aber auch ausschließlich bei Ärzten in Anspruch genommen werden. Durchgeführt werden Abtreibungen von Ärzten. Alles andere steht in Italien unter Strafe. Bewerbung von Abtreibung ist verboten.

Eine im Sommer veröffentlichte IPSOS-Umfrage ergab, daß in mehreren Ländern Westeuropas die Zustimmung zur Abtreibung gesunken ist. Italien ist dabei gegenzyklisch: 2014 befürworteten 73 Prozent Abtreibung, 2021 dann 77 Prozent (in Deutschland sind es 81 Prozent). Woran das liegt, kann keiner so genau sagen.

Was sagen die aktuellen Zahlen?

Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza hat erst vor wenigen Wochen im Parlament seinen Bericht zu Abtreibungen abgeliefert. Demnach ist die Zahl der Abtreibung weiterhin rückläufig. 2020 waren es rund 68.000 (2019 waren es mehr als 73.000). Interessant ist die Zahl der Gynäkologen, die sagen, sie seien gegen Abtreibungen. Mit 67 Prozent sind das mehr als zwei Drittel.

Die medialen Debatten drehen sich häufig um die Frage, wie mit jenen Krankenhäusern verfahren wird, wo 100 Prozent der Ärzte aus Gewissensgründen keine Abtreibung durchführen: Nach Ansicht von Beobachtern ist das aber eine rein akademische, theoretische Diskussion, da es keine Mehrheit im Politikbetrieb gibt, die das Recht und die Berufung auf das Gewissen aushebeln will. Schon gar nicht mit Mario Draghi im Chigi-Palast, dessen Linie hier relativ klar zu sein scheint, und Marta Cartabia als Justizministerin, sie hat übrigens in einem ihrer Bücher Papst Emeritus Benedikt XVI. zitiert.

Abtreibungsbefürworter nutzen die Gewissensentscheidung von Ärzten immer wieder als Argument zur Untermauerung ihres Narrativs, wonach es Frauen, die abtreiben wollen, in Italien angeblich besonders schwer hätten. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Organisation „Luca Coscioni“ erste Ergebnisse einer neuen Untersuchung. Demnach gibt es in Italien mindestens 15 Krankenhäuser, in denen sich 100 Prozent der Ärzte weigern, Abtreibungen durchzuführen. 15 Krankenhäuser von circa 1.000 sind nicht viel. Und das Gesetz 194 schreibt zudem vor, daß das Eingreifen des eigentlich ablehnenden Arztes unerläßlich ist, wenn das Leben der Frau in unmittelbarer Gefahr ist.

Die einzige Chance, die Befürworter einer weiteren Liberalisierung haben, ist, daß der Gesundheitsapparat mehr Ärzte anstellt, sodaß es in spezifischen Krankenhäusern immer auch Ärzte mit unterschiedlichen Positionen gibt. Da werden dann aber Finanzpolitiker protestierten und sich fragen, ob sich das wirklich lohnt.

Ebenso unwahrscheinlich ist es aber auch, daß die Möglichkeit von Abtreibung beschränkt wird: Auch auf katholischer Seite haben sich die politischen Kräfte damit abgefunden, daß das Gesetz ist, wie es ist.

Aber wie gesagt, in Italien können sich parteipolitische Linien schnell ändern. Während in Deutschland etwa die linken Parteien klar für eine Lockerung der Abtreibungsregelungen sind und sich bürgerliche, konservative Parteien für eine Beibehaltung aussprechen, ist es in Italien komplizierter. Nächste Woche soll beispielsweise im Senat ein Gesetz gegen Homo- und Transphobie debattiert werden. Das Gesetz, es heißt „Legge Zan“, ist benannt nach dem Abgeordneten Alessandro Zan von den Sozialdemokraten.

Es soll das seit 1993 geltende „Legge Mancino“ ergänzen, das Haßpropaganda sowie Anstiftung zu rassistisch, ethnisch oder religiös motivierter Gewalt unter Strafe stellt. Künftig sollen auch Beleidigungen oder Gewaltdelikte unter Strafe stehen, die sich gegen die sexuelle Orientierung bzw. das Geschlecht oder die „Geschlechtsidentität“ richten. Wer dagegen verstößt, kann bis zu vier Jahre ins Gefängnis kommen.

Doch das Gesetz sieht auch präventive Maßnahmen vor. Das schließt nicht nur symbolische Maßnahmen mit ein – beispielsweise soll der „Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie“ am 17. Mai als nationaler Aktionstag begangen werden –, sondern auch die Förderung verschiedener Beratungszentren.

Manche Politiker befürchten nun eine Indoktrination von Kindern an Schulen oder, noch schlimmer, die Einschränkung der Meinungsfreiheit: Denn wer vielleicht mit scharfen Worten etwa das angebliche Recht homosexueller Paare auf Kinder kritisiert, der könnte gegen das „Legge Zan“ verstoßen. Deshalb ist die Lega, die Teil der Regierung unter Ministerpräsident Draghi ist, gegen das Gesetz. Genauso wie die Fratelli d’Italia und bis vor kurzem die Forza Italia.

Allerdings – und das ist ein typisches Beispiel für die erratische Politik Italiens – ist die Forza Italia mittlerweile dafür, nachdem Senator Lucio Malan, der bis Juli stellvertretender Fraktionschef von Forza Italia war, zu den Fratelli d’Italia gewechselt ist.

In der Fassung, die nächste Woche verhandelt werden soll, wurden einige Passagen entschärft, wodurch die Meinungsfreiheit garantieren werden soll. Aber wir kennen das in Deutschland vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder den Gesetzen gegen „Haßsprache“: Schlußendlich sind diese Begriffe schwammig und je nach herrschender Meinung können gestern noch als legitim angesehene Äußerungen morgen schon gegen Gesetze verstoßen.

Ebenso nächste Woche soll ein Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid ins Parlament kommen. Sollte er in der aktuellen Fassung durchkommen, würde die Sterbehilfe für Betroffene rechtlich gesehen einfacher zugängig sein als eine Palliativbehandlung. In anderen Ländern gibt es Sterbehilfegesetze wie wir wissen bereits seit Jahren. Italien ist hier Gott sei Dank ein bißchen zurück.

Wie ist die Lage in Südtirol?

Dort pendelten sich die Abtreibungszahlen in den vergangenen Jahren bei 520 bis 530 pro Jahr bei mehr als 500.000 Einwohnern ein. Vor 15 Jahren war der Wert auch schon mal bei über 600. 2020 waren vier von zehn der Betroffenen Ausländer, dieser Anteil stieg an. Allerdings gibt es durch die Pille danach eine nicht benennbare Dunkelziffer.

Was in Südtirol und Italien leider besonders schlecht ist aus Sicht des Lebensschutzes: Wer eine Abtreibung machen will, der muß sich ja wie erwähnt beraten lassen. Allerdings ist das auch bei Ärzten möglich. Viele Schwangere, die abtreiben wollen, gehe also möglicherweise direkt zu dem Arzt, der dann die Abtreibung durchführt.

Hier wird also die Beratungsregelung de facto ausgehebelt. Auch geht das laut Südtiroler Lebensschützern dort sehr schnell: Wer eine Abtreibung machen möchte, der kann das über einen entsprechenden Arzt sehr schnell, also innerhalb von wenigen Tagen tun.

Die „Bewegung für das Leben“ in Südtirol hat zwar versucht, diesen Punkt auf die politische Tagesordnung zu bringen, doch de facto finden sowohl Befürworter als auch Gegner in der medialen und politischen Öffentlichkeit kaum Gehör.

Da Südtirol nicht sehr groß ist, fahren Betroffene eben in die Krankenhäuser in Bozen oder Meran, wo Abtreibungen durchgeführt werden, und der Rest, oft in den Tälern, der will ja anscheinend keine Abtreibungen, sonst wäre der Druck auf die Krankenhäuser in den Tälern höher, auch dort solche Eingriffe anzubieten. Übrigens gab es bis vor 15 Jahren in Meran gar keinen bereitwilligen Arzt, weshalb immer jemand von Padua kommen mußte. Mittlerweile gibt es einen einzigen.

Doch nicht alle sind so konservativ eingestellt. Gerade jüngere Südtiroler, so berichteten es mir Lebensschützer, seien bei Abtreibungen aufgeschlossener, da sie meinten, es stehe jedem zu, selber zum konkreten Zeitpunkt zu entscheiden, ob er nun gerade Mutter oder Vater werden will oder nicht.

Umstrittener als in Südtirol ist die Situation wie gesagt in Regionen, wo es keine Abtreibungsärzte gibt: Da versuchen die Radikalen eine Gesetzesnovelle, welche die Gewissensfreiheit beschränkt, aber wie gesagt: Von den großen Parteien will sich niemand mit dem Thema befassen. Was heißt: Irgendwann wird eine entsprechende Ministerin das halt in einem Nebensatz tun. Bis dahin aber arrangieren sich alle irgendwie.

Allgemein ist mein Eindruck, daß wir uns als Lebensschützer unabhängig vom jeweiligen Land in einem Abwehrkampf befinden. Mit der stetigen Abnahme des Glaubens und des Einflusses der katholischen Kirche verschwinden auch bestimmte moralische Grundsätze. Ende September brach mit San Marino eine der letzten Verteidigungslinien in Sachen Abtreibungen in Europa und liberalisierte das Abtreibungsrecht. Abtreibungen sind nun dort bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt, danach nur, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder eine schwere Mißbildung des Fötus vorliegt. Verboten sind Abtreibungen in Europa nur noch auf Andorra, Malta und im Vatikan.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Vor drei Jahren erklärte sich Verona, eine der schönsten Städte im von der Lega regierten Venetien, zur „Stadt des Lebens“. Der Stadtrat nahm mit deutlicher Mehrheit einen Antrag an, der Verona zur Pro-Life-Stadt erklärte, mit dem entsprechende Vereine unterstützt werden sollen und ein regionales Projekt gefördert werden soll, das es Schwangeren ermöglicht, ihr Baby später anonym zur Adoption freizugeben. Auch in anderen Städten gab und gibt es solche Vorstöße.

Ich denke, über staatliche Regulierungen ist das Problem der Demografie oder der Familienpolitik in unseren westlich geprägten Demokratien nicht sinnvoll und nachhaltig lösbar. Ob ein Paar Kinder kriegt oder nicht, ist eine hochpersönliche Entscheidung. Italien und andere Staaten hatten in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, Paare mit großzügigen finanziellen Anreizen zu mehr Kinderkriegen zu bewegen. Als die Lega zusammen mit der Fünf-Sterne-Bewegung regierte, wollte der Landwirtschaftsminister jedem Paar, das zwischen 2019 und 2021 ein drittes Kind bekommt, für 20 Jahre kostenlos Ackerland zur Verfügung stellen und darüber hinaus einen zinsfreien Baukredit über 200.000 Euro gewähren. Die Idee sorgte zwar für Schlagzeilen, doch stieß nie wirklich auf Interesse, weshalb der Vorstoß wieder in der Versenkung verschwand.

Zwei andere Beispiele: In Ungarn lag die Geburtenrate 1991 bei 1,9 Kinder pro Frau. Zehn Jahre später lag die Zahl bei 1,3. Mittlerweile ist sie wieder auf 1,6 gestiegen. In Polen war der Rückgang noch drastischer: Sie fiel von 2,1 auf 1,3 und stieg zuletzt leicht auf 1,4.

Die dortigen Regierungen verfolgen eine ausgesprochen kinderfreundliche Politik. Und trotz der großzügigen Hilfen – je mehr Kinder, desto weniger Einkommenssteuer zahlt man, ab vier Kindern zahlt die Frau in Ungarn sogar überhaupt keine Einkommenssteuer mehr, zudem fördert der Staat größere, familienfreundlichere Autos – doch trotz dieser Maßnahmen gelang es bislang nicht, die Reproduktionsrate auf 2,1 zu heben. Ein solcher Wert ist für den Erhalt einer Bevölkerung ohne Migration nötig. Doch was bringt eine solche Förderung, wenn viele junge Menschen – ähnlich wie in Italien – ins Ausland ziehen?

Meines Erachtens nach sollte der Staat sich möglichst zurückhalten, aber dafür umso stärker dafür sorgen, daß die Rahmenbedingungen für die Menschen, die Unternehmen, so gestaltet sind, daß sie gut leben können und sich vor allem sicher fühlen und ein optimistisches Gefühl für die Zukunft haben.

Kinderkriegen hat nicht unbedingt etwas mit Geld und Reichtum zu tun. Ich kenne ein Paar, das inzwischen acht Kinder hat, was heute völlig untypisch ist. Finanziell gut situiert, waren die beiden jedoch nie. Der Vater ist Postbote und die Mutter ist hauptberuflich Mutter. Dennoch klappt es mit Unterstützung der Großeltern, anderen Verwandten und Freunden gut, es reicht sogar für einfache Urlaube.

Dies ist auch mein Fazit: Die Frage des Kinderkriegens kann nicht herausgelöst von anderen gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet werden. Denn die demografische Krise in Italien geht einher mit der Misere der Generation der 20- bis 40jährigen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden im Sinne daß sie weniger gesicherte Jobs haben. Zwischen 2015 und 2020 suchten rund 200.000 junge Italiener ihr Glück im Ausland. Auch als Wähler ist diese Generation schwach, sie macht einfach einen zu geringen Anteil aus. Es gibt neben der finanziellen Seite aber noch eine andere: Italiener sind traditionell auf Familienbande gepolt, sie sorgen sich deshalb auch um den sozialen Status ihrer Kinder.

Ich habe aber leider den Eindruck, daß die Familie in den vergangenen Jahren weniger wichtig wurde, sei es in Deutschland, Österreich, Schweiz oder Italien. Paradoxer Weise könnte die wirtschaftlich schlechter werdende Situation jedoch dazu führen, daß sie wieder wichtiger wird und vielleicht kommt auch wieder mehr Glaube in das Leben junger Menschen und nimmt ihnen die Zukunftsangst. Gerade mit den Möglichkeiten des Internets und der neuen Medien läßt sich hier einiges aus unserer Sicht erreichen, wie die erfolgreichen Beratungszahlen von 1000plus ja zeigen.

Italien ist in Sachen Familie sicher nicht schlechter aufgestellt als andere europäische Länder. Im Gegenteil. Dazu möchte ich Ihnen abschließend eine Anekdote aus der Zeit meiner Skilehrerausbildung erzählen, die etwas klischeehaft auch den Unterschied zwischen der deutschen und italienischen Mentalität verdeutlicht:

Einer unserer Ausbilder erzählte also, er sei zu einer Unfallstelle auf der Skipiste gerufen worden. Ein Italiener hatte sich am Bein verletzt. Dicht um ihn herum standen die Angehörigen, von der Oma bis zum Kleinkind. Die Retter mußten sich erstmal Platz verschaffen, selbst beim Hinunterfahren wichen die Angehörigen nicht von dem Verletzten und wollten anschließend sogar mit in den Krankenwagen, was natürlich nicht ging.

Am selben Tag kam unser Ausbilder zu einem weiteren Unfallort. Ein Deutscher war gestürzt, mußte ebenfalls versorgt, sprich zu Tal gefahren und ins Krankenhaus gebracht werden. Die Angehörigen des Verletzten warteten brav an der Seite. Schließlich fragte einer der Helfer, ob sie mit hinunterfahren und anschließend ins Krankenhaus hinterherfahren wollen. Die Antwort: „Nein, unsere Karte für den Lift gilt ja noch für zwei Stunden.“

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Fragerunde!