Wer sich derzeit durch die italienischen Facebook- und Twitter-Kanäle klickt, der stößt auf auffallend viele deutschlandfeindliche Einträge. „Laßt uns alle daran erinnern“, schreibt ein Twitter-Nutzer mit Klarnamen und echtem Profilbild, „wenn sie wieder kommen und unsere Strände genießen, in unseren Restaurants essen, unsere Museen besuchen oder einfach nur durch das schönste Land der Welt spazieren, dann müssen wir zwei Preislisten haben: eine für uns und die Welt und eine für die Deutschen, die Holländer und Österreicher“.

Versehen ist der Eintrag zwar mit einem Zwinker-Smiley, doch der steht nicht für Ironie, und der Tweet zählt noch zu den harmloseren Aussagen. Viele vergleichen die Bundesregierung in Berlin mit der Nazi-Diktatur, die wieder Europa unterwerfen wolle. Europa und die „Unione europea“, wie die EU auf Italienisch genannt wird, sind derzeit das politische Thema Nummer eins in Italien.

Es kursieren mehrere Videos, in denen Italiener ihren Unmut über die EU äußern. In einem verbrennt ein Mann die blaue Flagge mit dem gelben Sternenkreis sogar – im Hintergrund läuft die italienische Nationalhymne. Die EU wird in Italien oft mit Deutschland gleichgesetzt, vor allem jetzt, da mit Ursula von der Leyen eine CDU-Politikerin ihrer Führung steht.

Vor wenigen Tagen zog der Schauspieler Tullio Solenghi in einem mehrminütigen Video über Deutschland her. In der Haßtirade, die in allen großen Zeitungen des Landes verbreitet wurde, sprach der 72 Jahre alte Komiker von der „Arroganz“ und „Kaltherzigkeit“ der Deutschen. Er erwähnte die NS-Vergangenheit, die beiden Weltkriege, die Deutschland verschuldet habe, und die sechs Millionen Juden, die während des Holocausts umgebracht wurden „und noch immer halten sich die Deutschen für eine überlegene Rasse“.

„Noch immer halten sich die Deutschen für eine überlegene Rasse“

Solenghi redet nicht nur von der Bundesregierung und „den Deutchen“, er spricht die Bürger nördlich der Alpen auch direkt an: „Ich möchte euch Deutsche daran erinnern, wenn die internationale Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Wiedergutmachung verlangt hätte für die wirklichen Schäden, die Deutschland angerichtet hat, dann würden die Deutschen heute alle in Favelas leben.“

Grund für die aufflammende Deutschenfeindlichkeit ist die angeblich mangelnde Hilfe der EU und damit Deutschlands in der Coronakrise und natürlich das Geld. Konkret geht es derzeit um Corona-Bonds. Dabei handelt es sich um festverzinste gemeinsame Staatsanleihen, mit denen die EU-Länder Schulden aufnehmen und gemeinsam dafür haften sollen. Durch die gemeinsame Haftung soll verhindert werden, daß die Zinsen für einzelne Staatsanleihen krisengebeutelter Länder wie Italien steil nach oben schnellen. Und finanzstärkeren Ländern wie Deutschland, Österreich oder den Niederlanden vertrauen Finanzmärkte eher. Mit dem Geld sollen dann die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise bekämpft werden.

Italien, aber auch Spanien und Frankreich fordern seit Tagen vehement solche Anleihen. Deutschland, Österreich und nordeuropäische Länder sperren sich dagegen. Wie ernst die Lage aus Sicht Italiens ist, zeigen nicht nur die ökonomischen Daten, die schon vor der Krise negativ waren, sondern auch das Verhalten der italienischen Politiker. Die sonst sehr stolzen Italiener betteln in Deutschland fast schon um eine Meinungsänderung in Sachen Coronabonds.

Italiensche Politiker werben in deutschen Medien für Coronabonds

Italiens Premierminister Giuseppe Conte (parteilos) sprach am Dienstag in der ARD von einer „Schlacht gegen einen gemeinsamen und unsichtbaren Feind“, die zu schlagen sei. Alle Länder stünden an der Frontlinie, betonte er, und wenn ein Vorposten zurückweiche, könne sich der Feind im Inneren ausbreiten. Am Ende des Interviews bedankte er sich betont freundlich „bei allen deutschen Zuschauerinnen und Zuschauern“.

Zugleich hatten sich am Dienstag mehrere italienische Politiker verschiedener Parteien in einer ganzseitigen Anzeige in der FAZ an die „lieben deutschen Freunde“ gewandt. Sie warben darin um finanzielle Hilfen für Italien und andere südeuropäische Länder. Es gehe nicht um die Vergemeinschaftung der öffentlichen Altschulden, sondern um genügend Mittel für einen europäischen Rettungsplan, hieß es darin.

Warum reagieren nun viele Italiener derart brachial auf die ablehnende Haltung Deutschlands? Schließlich waren auch schon nach der Finanzkrise von 2008 Eurobonds gescheitert und der Euro sowie die damals kriselnden Länder wurden trotzdem gerettet. Spricht man mit Italienern, dann geht es diesmal um mehr als nur das Geld. Wenn die Mamma oder der Papa, die Nonna oder der Nonno an Covid-19 starben, dann geht es nicht mehr in erster Linie ums finanzielle, dann geht es um das Persönliche, die Familie.

Dieser Artikel erschien vor einigen Tagen in der JUNGEN FREIHEIT. Weiterlesen …