Ganz Deutschland spricht über den Konservatismus. In der Union werden Vertreter des konservativen Zusammenschlusses WerteUnion wie Trophäen durch die Redaktionen gereicht. Die CSU – klar, die Bayernwahl steht vor der Tür – fischt im AfD-Lager, und in den Feuilletons versucht man den Begriff einzuordnen. Die Zeit widmete ihm zuletzt sogar ein Titelthema. Susanne Gaschke schrieb in der Welt am Sonntag, die Konservativen bestimmten mittlerweile die bundesdeutschen Debatten.

Die meisten dieser im Grunde linken Autoren und Diskutanten reden natürlich am Kern des Begriffs vorbei. Recht anschaulich läßt sich dies am Beispiel Jens Hacke zeigen. Der 44jährige lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Vor kurzem durfte er sich im Deutschlandfunk über den Konservatismus auslassen. „Konservatismus ist, glaube ich, heute eigentlich nur noch zu gebrauchen als ein, ja, quasi anthropologischer Begriff, der bestimmte Charaktereigenschaften bezeichnet, aber der als ideologischer, übergreifender Terminus eigentlich ausgedient hat – und schon lange ausgedient hat.“

Der Konservative müsse sagen, was er bewahren wolle. Er müsse einen Plan entwickeln, „wie Gesellschaft in Zukunft aussehen sollte“. Ebendaran scheitere er aber, glaubt der Politologe festzustellen, weil Themen wie gesellschaftlicher und kultureller Wandel, Familienbild, Heimat gar nicht in die Zuständigkeit der Politik fielen. In Deutschland sei in den vergangenen Jahren so viel passiert, da könne auch konservative Politik die Zeit nicht zurückdrehen. „Da wird die Kompetenz der Politik maßlos überschätzt.“

Abgesehen davon, daß diesen kulturellen, familiären und vor allem gesellschaftlichen Wandel gerade die Politik unter Kanzlerin Angela Merkel maßgeblich beschleunigt hat, geht Hacke ­– und er steht nur stellvertretend für viele andere Linke, die den Begriff „Konservatismus“ nun mit ihren Mißdeutungen besetzen wollen – von einer irreführenden Vorstellung aus.

Gegen die Irrlehren der Zeit

Der Terminus geht bekanntlich auf die 1818 gegründete Zeitschrift Le Conservateur zurück. Das Blatt führte, inspiriert durch den Schriftsteller François-René de Chateaubriand, „den Kampf gegen das regierende Ministerium mit der Waffe der Theorie und gestützt auf die Verfassung“, wie es der Publizist Caspar von Schrenck-Notzing 1970 in einem Vortrag vor dem Historisch-Kulturellen Arbeitskreis in München zusammenfaßte. „Der Conservateur und der sich mit ihm formierende Konservatismus stehen – und das möchte ich rot unterstreichen – in keinem inneren Zusammenhang mit dem Wort conservare = bewahren“, betonte der Verleger.

Conserver‘ komme nur in dem Sinne vor, daß man „conservant les saines doctrines“ gegen die Irrlehren der Zeit vorgehe, also an den gesunden, rechten Lehren festhalte, nicht an irgendwelchen Institutionen, Zuständen, Machthabern oder Lebensformen. Konservatismus heiße nicht in erster Linie Bewahren. Was schließlich auch an der damaligen Situation Frankreichs nach der Revolution von 1789 und dem Ende des Kaiserreichs lag. Kurzum, es gab nichts, woran Konservative hätten anknüpfen können – nicht an die Revolution, nicht an Napoleon.

Ein Konservatismus, der auf das Bewahren reduziert wird, sei nichts anderes als ein Kuckucksei, das die Linken den Rechten ins Nest gelegt haben (s.u.). Denn „konservativ“ können dann plötzlich auch Altkommunisten sein, die sich neuen linken Strömungen verweigern. Und im Innern dieses zwiebelförmig aufgebauten Begriffs steckt kein Kern, keine Ideologie.

„Der innere Widerspruch des Wortes ‚konservativ‘ ist, daß aus ihm ein Bewahren ohne Unterschied herausgelesen werden kann, während die konkrete konservative Strömung – minoritär, oft zurückgesetzt, manchmal verfolgt – gerade auf den Unterscheidungswillen angewiesen ist“, merkte von Schrenck-Notzing an. Gerade deshalb ist der Kampf um den Begriff im Jahr 2018 ein immens bedeutender.

Auch wenn der Ausdruck eigentlich nicht paßt – die „Konservativen“ in Frankreich nannten sich den Umständen entsprechend lediglich nach dem Namen der Zeitschrift, nicht aber nach deren Inhalten –, bleibt den Rechten heute nichts anderes übrig, als sich mit ihm abzufinden. Viele politisch Interessierte können zumindest etwas damit anfangen, und er erspart müßige Umschreibungen.

Eine verzwickte Situation

Der Rechte von heute steckt in der zum Verzweifeln komplizierten Situation, einen Begriff gegen die Linken verteidigen zu müssen, den er eigentlich ablehnen sollte. Dies erkannte bereits vor Jahrzehnten der Wahltiroler und Universalgelehrte Erik von Kühnelt-Leddihn. In „Die rechtgestellten Weichen“ notierte er: „Wer den heutigen Zeitgeist genau kennt, muß feststellen, daß eine echte Rechte geistig revolutionär sein und mit einem frischen Wind wehen muß, der den widerlichen Gestank der letzten 200 Jahre endlich einmal vertreiben sollte.“

Auch hier irren Hacke und die deutschen Mainstream-Erklärer, wenn sie meinen, der Konservatismus hätte seine Existenzberechtigung höchstens noch in einer konsistenten, ideologiefreien und rationalen Politik. Zu glauben, Ideologien wären naturgemäß links und Konservative und Liberale müßten deshalb ideologiefeindlich sein, sei brandgefährlich, schrieb der „katholische, rechtsradikale Liberale“ Kühnelt-Leddihn in seinem Buch „Konservative Weltsicht als Chance. Entlarvung von Mythen und Klischees“.

Denn „durch den Schleim, den uns die ,Männer der Mitte’ bringen wollen, wird der Feind mühelos seinen Weg bahnen. Wir müssen deshalb wieder Zeugen einer Überzeugung werden. Und gerade dafür brauchen wir eine Ideologie, […] eine Ideologie der Personbejahung und der Liebe, die sich den Ideologien der Gruppenhysterie, der Rassen- und Klassenfeindschaft und des organisierten Hasses entgegenstellen könnte.“