Eine Erzählung

Torben-Malte wuchs in einer kleinen Reihenhaussiedlung auf dem Land auf. Das 8.000 Seelen große Dorf lag an einem kleinen Fluß, der sich wie ein glitzerndes Band durch die Landschaft schlängelte. Er gehörte zur ersten Generation seines Bundeslandes, die ein neuartiges Konzept eines angesehenen Gymnasiums testen sollte, bei dem Lerninhalte bis zum Abitur ausschließlich spielerisch vermittelt werden.

Der Anteil von Schülern mit vier deutschen Großeltern lag bei 99,9 Prozent. Grund dafür waren einerseits die hohen Gebühren sowie Zusatzkosten etwa für Pflichtkurse im Ausland. Andererseits aber auch die Schulleitung, die bei der Auswahl von neuen Schülern penibel auf die Homogenität achtete, vor allem auf die finanzielle Situation der Eltern.

Torben-Maltes Eltern hatten in ihrem Leben immer Glück gehabt. Während ihre Mütter und Väter auch während der Schulzeit sechs Tage die Woche von morgens bis abends auf dem elterlichen Hof schuften mußten, um einigermaßen über die Runden zu kommen, brauchten sie sich nur auf die Lerninhalte zu konzentrieren. Später durften sie studieren; er wurde Anwalt, sie Kunstlehrerin.

Der blonde Sprößling hatte bis zu seiner Studienzeit nie Kontakt zu Ausländern. Minijobber kannte Torben-Malte, heute 28, nur aus den Nachmittagssendungen von Sat.1 und RTL. Als er in Berlin eine Wohnung in Neukölln bezog, lernte er sehr schnell eine andere Seite des Lebens kennen. Sie war brutaler, rauher, aber auch aufregender.

Während er früher die meiste Zeit mit klar strukturierten Lernabläufen, Malkursen, Klavierspielen und Nachhilfegeben beschäftigt war, lernte er nun Alkohol, Gras und Sex kennen – und Gewalt. Gewalt gegen Sachen gepaart mit Haß auf Autoritäten, vor allem auf Polizisten.

Torben-Malte arbeitete sich in der Szenehierarchie immer weiter nach oben, eine solche gab es bei den Linksextremen nämlich ebenfalls, auch wenn sie immer lauthals schreien, wie egalitär, antiautoritär und – neuerdings – wie libertär sie seien. Dafür mußte er seiner Ansicht nach nicht viel tun, schon gar nicht arbeiten. Er ließ seinen niederen Instinkten freien Lauf: Neid, Haß, sinnfreier Gewalt. Religion war ihm bereits als Kind fremd gewesen, jetzt war sie eines seiner größten Feindbilder.

Bei der Antifa konnte Torben-Malte all das tun, was ihm seine Eltern immer verwehrt hatten. Kindersendungen, in denen der Held kämpfte, hatte er nicht sehen dürfen. Auch bei der Bücherwahl war vor allem der Vater sehr darauf bedacht gewesen, jene Wälzer auszusortieren, in denen Gewalt, Sex oder Krieg vorkamen. Selbst mit Wasserpistolen hatten seine Eltern ihn nie spielen lassen.

Seit zwei Tagen darf der junge Mann nun schon in Hamburg seine Zerstörungswut ausleben. Er genießt es nicht nur, er glaubt sogar, er mache die Welt damit ein Stück besser.

Ein Dialog

Wer nun meint, daß die eintausend, zweitausend oder fünftausend Linksextremisten vom „Schwarzen Block“ das alleinige Problem sind, der irrt. Die selbsternannte Antifa erfreut sich über eine große Anhängerschaft im links-bürgerlichen Milieu.

Vor einigen Wochen sprach ich mit einer jungen Frau über die Hausbesetzer in der Rigaer Straße 94 und ihre Sympathisanten. Sie hat einen Master in Soziologie und einen ähnlichen Lebenslauf wie unser Torben-Malte. Ein Gedächtnisprotokoll:

Sie: „Neulich stand schon wieder eine Wanne unten an der Kreuzung. Und überall liefen Polizisten mit Maschinenpistolen und ihrem martialischen Auftreten herum.“

Ich: „Das ist doch kein Wunder, bei der Gewalt, die von den Linksextremen dort ausgeht. Ich finde, sie sollten dort jeden Tag mit drei Hundertschaften patrouillieren und denen ihr Leben auf fremde Kosten zur Hölle machen.“

„Was hast du denn gegen sie? Tolerierst du ihre alternative Lebensweise nicht? Ihr Wohnprojekt, ihre Solidarität untereinander? Nur weil ihre Eltern und Großeltern in konservativen Familienmodellen lebten, müssen die Kinder das doch nicht auch tun.“

„Aber das Haus, in dem sie ihr ‚Projekt‘ ausleben, gehört nicht ihnen. Sie zahlen auch keine Miete.“

„Das Haus stand seit Jahren leer. Warum sollen da nicht Leute einziehen, wo doch so große Wohnungsnot herrscht?“

„Weil es fremdes Eigentum ist und es gegen den Willen des Besitzers geschieht. Aber da sind wir offenbar völlig anderer Ansicht. Was ist mit der Gewalt?“

„Welche Gewalt?“

„Na, die Straßenschlachten mit der Polizei, die hinterhältigen Angriffe, die Brandstiftungen, immerhin werden in Berlin jährlich Hunderte Autos angezündet.“

„Die Polizei provoziert ja auch immer. Sie kontrollieren für sie verdächtig aussehende Personen ohne Grund. Und die Gewalt geht ja auch immer von der Polizei aus. Nachher lesen wir in den Zeitungen wieder, so und so viele Beamte seien verletzt worden, dabei handelt es sich meist nur um blaue Flecken oder tränende Augen durch ihr eigenes Gas. Es hat auch etwas Rebellisches, Mutiges an sich, wenn Alternative sich mit der gesamten Staatsgewalt anlegen.“

„Vor kurzem haben diese, wie du sie nennst, Alternativen, eine Polizeistreife in einen Hinterhalt gelockt und mit Pflastersteinen beworfen. Ein Beamter wurde schwer verletzt.“

„Das hatte bestimmt einen Grund, im Vorfeld. Doch davon werden wir in den Medien bestimmt nichts hören. Und wer den Polizeiberuf wählt, der weiß ja um das Risiko.“

„Und was ist mit den vermeintlichen Luxusautos, die angezündet werden?“

„Das ist doch verständlich. Ein Auto kann sich heute ohnehin nur jemand leisten, der geerbt hat, was ja eh völlig ungerecht ist. Überhaupt sind Autos in der Stadt schädlich für alle. Auch für dich.“

„Also hast du auch nichts gegen die bürgerkriegsartigen Szenen am 1. Mai oder bei G7- oder G20-Gipfeln?“

„Klar, Gewalt ist nie schön. Aber schau, vergleich das doch mal mit der Gewalt, mit den Kriegen, den Hungersnöten, Katastrophen auf der Welt, für die diese Politiker maßgeblich mitverantwortlich sind. Was sind da schon ein paar kaputte Schaufenster oder ausgebrannte Autos? Das zahlt sowieso die Versicherung. Uns geht es so gut.“


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