Drei Tage ist es her, seitdem ein Terrorist auf einem Weihnachtsmarkt im Herzen Westberlins zwölf Menschen getötet und mindestens 45 zum Teil schwer verletzt hat. Seitdem wird gefahndet und gemutmaßt, doch vor allem wird das Scheitern gesamteuropäischer Politik sichtbar.

Seit Mitternacht von Dienstag auf Mittwoch fahndet Deutschlands Polizei nach dem verdächtigen Tunesier Anis Amri, der mindestens zehn Identitäten besitzen soll. Den Behörden war der Mann als sogenannter Gefährder bekannt. Dabei handelt es sich um Personen, denen jederzeit und überall ein Anschlag zugetraut wird.

In Behördendeutsch: „Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.“

Über 250 Gefährder in Deutschland

Das Bundeskriminalamt registrierte bislang 549 solcher Gefährder. Rund die Hälfte hält sich derzeit in Deutschland auf, 80 davon im Gefängnis. Hinzu kommen 368 sogenannte „relevante Personen“ aus der islamistischen Szene. Unter ihnen sind 74 Konvertiten.

Anis Amri reiste nach bisherigem Stand 2015 über Freiburg nach Deutschland ein. Seit Februar hielt er sich unter anderem vor allem in Berlin auf. Bundesbehörden überwachten den mutmaßlichen Terroristen von Februar bis September. Der Grund: Er habe geplant, automatische Waffen zu besorgen. Zudem war Amri schon vor der Einreise nach Deutschland als mindestens Krimineller aufgefallen.

In Italien wurde er wegen Brandstiftung, Körperverletzung und anderer Gewalttaten zu vier Jahren Haft verurteilt. Unter anderem legte er Feuer in einer Schule. Bereits in seinem Heimatland fiel der Tunesier auf. Vor sieben Jahren soll er Tunesien verlassen haben. Kurz zuvor soll er einen Lastwagen geraubt haben. Ein Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu fünf Jahren Gefängnis.

Szenenwechsel: Ich hatte das Glück, in einem kleinen Dorf in Südtirol aufzuwachsen. Krieg und Gewalt waren mir fremd. Ich nahm diese zwar wahr, wenn ich beispielsweise in den Nachrichten über gewalttätige Konflikte oder terroristische Anschläge in Rußland, Israel, Kolumbien oder afrikanischen Ländern hörte. Richtig betroffen war ich allerdings nie, wo all die schrecklichen Taten doch so weit weg geschahen.

Das hat sich spätestens seit 2015 geändert. Die Gewalt kam immer näher. Vom Nahen Osten und Afrika über Frankreich und Belgien bis hin nach Deutschland. Vielleicht ist es auch dem aufkommenden digitalen Zeitalter geschuldet, das zu einem viel aufgeregteren Nachrichtenkonsum führte als noch vor 50 Jahren.

Desaster für Nomenklatura

Und auch statistisch gesehen ist es recht unwahrscheinlich, einer schweren Gewalt- oder Terrortat zum Opfer zu fallen. Dennoch beginnen nicht wenige Mitteleuropäer sich darüber klar zu werden, daß ihre Heimat davor nicht mehr gefeit ist. Vor dem Berliner Lkw-Anschlag bezeichneten die meisten Politiker und Medienschaffende solche Menschen höhnisch als „besorgte Bürger“. Wahrscheinlich tut es die Mehrzahl der Angehörigen soeben erwähnter Berufsgruppen immer noch.

Sollte Amri der Attentäter sein, wäre das für die europäische Nomenklatura, allen voran für die deutsche, ein großes Desaster. Erst vor wenigen Wochen nahm die Polizei einen mutmaßlich afghanischen Flüchtling fest, der im Verdacht steht, eine 19 Jahre alte Medizinstudentin in Freiburg vergewaltigt und getötet zu haben. Auch er war vorbestraft und konnte trotzdem durch halb Europa reisen, ohne daß das irgendeine Sicherheitsbehörde groß interessiert hätte.

Nun könnte es ähnlich sein. Dieses Mal aber noch perfider. Traf der Terroranschlag vom Montag Deutschland doch mitten ins Herz: Weihnachtsmarkt; vor einer symbolträchtigen Kirche; in Westberlin; wenige Tage vor Heilig Abend. Dieser Terroranschlag muß zu einer Systemfrage erhoben werden. Dublin, Schengen, und so fort. Sie funktionieren nicht. Sie gefährden das Leben derjenigen, „die schon länger hier leben“.

Immer mehr wird das bewußt

Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Wie die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte, handelte Amri im Görlitzer Park in Berlin mit Drogen. Dort zeigt sich die Inkompetenz der Regierenden im Kleinen, die langsam aber sicher auch im Großen erkennbar wird (FAZ-Blogger Don Alphonso schrieb hierzu bereits alles Nötige).

Was Grüne, Rote, Teile von Schwarz und Gelb in der Vergangenheit forderten, wurde an diesem Montag auf brutale Weise wahr: Bevor sie von einem Terroristen erfahren und getötet wurden, durften die Opfer dem Mann noch seine Tagesfreizeit finanzieren.

Das ist mehr als ein Skandal. Und immer mehr Menschen wird das auch bewußt.


Beitragsbild: Martin Voigt