Italienische Nationalisten schäumen. Grund dafür ist ein Punkt im Regierungsprogramm der neuen schwarz-blauen Koalition in Österreich. Darin stellen ÖVP und FPÖ den Angehörigen der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol die österreichische Staatsbürgerschaft in Aussicht.

„Österreich darf sich illegale Invasionen nicht erlauben. Es ist ein Wahnsinn, zu denken, daß ein Teil Italiens von einer Mehrheit österreichischer Bürger bewohnt sein könnte“, poltert etwa die Chefin der Fratelli d’Italia (FLI, Brüder Italiens), Giorgia Meloni. „Das wäre eine verkappte Sezession.“

Aber nicht nur stramme Linke, die glauben, sie seien rechts, beklagen die Entscheidung von Kanzler Sebastian Kurz und Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache. Auch EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani kündigte an, mit der neuen Regierung in Wien noch einmal über die Südtirol-Frage reden zu wollen, womit er überreden meint.

„Europa hat zwar viele Fehler, hat aber die Ära des Nationalismus abgeschlossen“, kommentierte er. Es wäre ein „willkürlicher Schritt“, wenn Österreich den Südtirolern ihren Paß gewähre. „Es wäre so, als ob wir (Italien) in Kroatien jenen den italienischen Paß geben würden, die dort italienischer Muttersprache sind.“ Daß Italien genau das tut, wußte der Forza-Italia-Politiker Tajani nicht, oder ließ es unter den Tisch fallen.

In Südtirol und Österreich sind es vor allem die Grünen und ihre Begleitschwafler, die es nicht akzeptieren wollen, wenn ein paar Tausend Südtiroler neben der italienischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen. Die Südtiroler Grüne Brigitte Foppa, die so etwas wie die alpenländische Kathrin Göring-Eckardt ist, sprach von einer „ethnischen Zündelei“.

Die Südtiroler, glaubt sie, seien „Weltbürger*innen“ und die wollten keinen Doppelpaß, sondern wenn schon einen EU-Paß. Grüne sind Träumer, sie wollen die Realität oftmals nicht wahrhaben. Doch Foppa scheint die vergangen zwei Jahre völlig verschlafen zu haben.

Die EU ist so fragil und zerstritten wie schon lange nicht mehr. In dieser Situation zu sagen, man gestehe anderen das Recht auf eine zweite Staatsbürgerschaft für das von vielen als Vaterland wahrgenommene Österreich nicht zu, grenzt an mit reichlich Ignoranz getränkter Frechheit.

Bedenklich stimmt indes das Gebaren der Südtiroler Volkspartei (SVP) in dieser Causa. Ihr Obmann Philipp Achammer bringt keinen Satz zustande, ohne vom „europäischen Geist“ zu schwadronieren, der in eine „voll umfassenden Unionsbürgerschaft“ münden müsse. Daß sich Vertreter der SVP einmal mit den deutsch-südtirol-feindlichen Grünen zusammentun, dürfte für manch Südtiroler Polit-Urgestein ein Schlag in die Magengrube sein.

Hoffnung macht: Zwei Dutzend SVP-Alt-Mandatare hatten vor Abschluß der Koalitionsverhandlungen in Wien um Zustimmung zur doppelten Staatsbürgerschaft gebeten. Einer der Unterzeichner war auch Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder. Dieser Vorstoß wiederum dürfte ein Schlag ins Gesicht des amtierenden Landeshauptmannes Arno Kompatscher gewesen sein.

Der Völser sorgte in Südtirol immer wieder mit schwammigen Äußerungen über sein Vaterland Österreich, wie er es in einem Interview mit einer österreichischen Zeitung einmal nannte, für Aufsehen. Am Montag kritisierte er, die FPÖ betreibe „nationalistische“ Politik. Wer weiß: Vielleicht fürchtet er sich auch einfach nur vor möglicher neuer politischer Konkurrenz aus Österreich.

Was konkret an den Plänen für die doppelte Staatsbürgerschaft nationalistisch sein soll, weiß keiner der Raunzer so genau (Deutschland, Polen, ja Italien selbst verfahren seit Jahrzehnten ähnlich). Nationalismus ist, wenn ein Nationalstaat einer Minderheit nicht nur das Selbstbestimmungsrecht verwehrt, sondern auch noch die vor allem symbolische Verbundenheit mit dem Heimatstaat durch einen zweiten Paß verbieten möchte. Für diese Debatte gilt: Wer Nationalismus sagt, der lügt.

Alles Klagen der Weltbürger und EU-Fanatiker bringt nunmehr sowieso nichts. Die FPÖ wird, was den Doppelpaß für Südtiroler angeht, weiter Druck machen. Den besorgten Bürgern bleibt deshalb nichts anderes übrig, als diffuse Ängste zu schüren. Wo zahlt der Südtiroler mit zwei Pässen seine Steuern? Muß er Wehrdienst leisten? Wer hat überhaupt Anrecht darauf?

Die Fragen sind längst beantwortet und die Feinheiten, die es noch nicht sind, werden in Wien diskutiert und geklärt werden. Der Völkerrechtler Peter Hilpold zerstreute zuletzt mehrfach die teilweise vorgeschobenen Bedenken der Kritiker. Steuern orientierten sich etwa immer am Wohnsitz. Klar: Ich zahle schließlich auch Steuern in Deutschland, weil ich dort gemeldet bin.

Jeder Staat ist frei, wie er sein Staatsbürgerschaftsrecht gestaltet. Sollte die österreichische Staatsbürgerschaft Nachfahren der deutsch- und ladinischsprachigen Tiroler südlich des Brenners gewährt werden, wäre noch nicht einmal eine Verfassungsänderung nötig, weil Österreich eine Schutzfunktion der Südtiroler ausübe, sagt Hilpold.

Schwieriger sei die Frage nach dem Wehrdienst. Hier müsse Österreich eine Regelung treffen, wobei dies am besten auch an den Hauptwohnsitz gekoppelt werden könne. Dasselbe gilt für das passive Wahlrecht. Und selbst wenn: Wer Rechte bekommt, hat auch Pflichten. Südtirolern mit dem doppelten Paß stünde schließlich auch der öffentliche Dienst offen, was auch eine Bereicherung für den österreichischen Staat wäre.

Und das beste: Niemand wird gezwungen, den österreichischen Paß zu beantragen. Aber der italienische Staat will hingegen interessierte Südtiroler mit Zwang „für sich allein behalten“. Schließlich tangiert die Staatsbürgerschaft nach Jahrzehnten auch die Identität – und um nichts anderes geht es.

Nach fast 100jähriger Trennung von Österreich ist die Zeit reif für ein eindringliches Zeichen der (Wieder-)Verbundenheit.