Alle waren sie da: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der bis vor kurzem noch SPÖ-Vorsitzende Christian Kern und Italiens wohl populärster Politiker und Innenminister Matteo Salvini. Genützt hat das am Ende, also am Tag der Landtagswahl, aber nur bedingt etwas. Denn der große Sieger ist das Team Köllensperger. Die nach dem Landtagsabgeordneten Paul Köllensperger benannte Partei sprang auf den zweiten Platz, obwohl sie sich erst vor wenigen Monaten gründete. Sie wird künftig sechs der 35 Mandatare stellen.

Szenenwechsel: Neulich in einer niederbayerischen Stadt, in der bei der bayerischen Landtagswahl vor zehn Tagen jeder Vierte die Grünen gewählt hatte. In der Altstadt neben dem Rathaus befindet sich eine gemütliche Buchhandlung. Gemütlich deshalb, weil jeder Besucher dieser wohltuenden Kombination aus urigem Holz und unzähligen Büchern erliegt, die einen der hektischen Welt entreißt.

Der Ladenbesitzer, Mitte 50, empfiehlt einer Kundin, die ein Geschenk für ihre „extrovertierte Freundin sucht, die in einem Catering-Betrieb arbeitet“, den Roman einer Südtirolerin. Darin gehe es auch um den Konflikt Südtirol-Italien, was ja gerade wegen der „Provokationen“ der neuen österreichischen Regierung um die Doppelstaastbürgerschaft für Südtiroler brandaktuell sei, wirbt der Buchhändler.

Provokationen aus Wien? Das machte mich dann doch hellhörig. Ich fragte den Mann, der Südtirol als Opfer einer verantwortungslosen und egoistischen Politik der türkis-blauen Koalition darstellte, ob er denn nicht wisse, daß die Doppelpaß-Initiative von den Südtirolern selbst angestoßen worden war. Und daß es Südtiroler gibt, die mit der jetzigen Autonomie nicht so zufrieden sind, wie er das in deutschen Zeitungen liest.

Wenn ein souveräner Staat Bürgern eines anderen Landes, noch dazu wenn er als Schutzmacht über diese Bevölkerungsgruppe fungiert, die Staatsbürgerschaft anbietet, nimmt das keinem etwas weg. Es wird nach den Plänen der österreichischen Regierung keinen Zwang geben. Überdies sucht sie sogar das Gespräch mit Rom, was umgekehrt wohl nicht der Fall wäre (Italien hat beispielsweise 2006 in einem eigenen Gesetz ohne größeres Aufhebens den Italienern in Istrien, Fiume und Dalmatien es ermöglicht, die italienische Staatsbürgerschaft zu beantragen.)

Der Buchhändler hörte aufmerksam zu. Er stellte keine Zwischenfragen. Hinter mir bildete sich eine kleine Schlange weiterer Kunden. Schließlich antwortete er: „Ich muß erstmal eine Weile überlegen, was ich Ihnen antworten soll.“ Ich packte mein Buch auf die Theke, zahlte und verließ den Laden mit dem Hinweis, der freundliche Herr möge doch demnächst mal ein paar Tage im Pustertal verbringen.

Was sich an dieser kurzen Episode zeigt: Wie Südtirol im Ausland wahrgenommen wird, hängt zu einem großen Teil auch von ihrer Regierung ab. Wenn der deutsche Tourist, der seit seinem unvergeßlichen Südtirol-Urlaub die Online-Ausgabe der größten Tageszeitung Dolomiten liest, die Worte von Landeshauptmann Arno Kompatscher vernimmt, wie eng man mit Rom zusammenarbeite, wie sehr man eine „Europaregion“ sei und wie erfolgreich man die Mehrsprachigkeit in Schule und Lehre integriert habe, klingt das natürlich zunächst toll.

Und damit kommen wir zur Landtagswahl: Rund 417.000 Südtiroler waren aufgerufen, Politiker zu wählen, die sie die kommenden fünf Jahre vertreten. 73,9 Prozent der Bürger machten von ihrem Recht Gebrauch ­– fast sechs Prozent weniger als 2013. Das Wichtigste zusammengefaßt:

  • Die Südtiroler Volkspartei (SVP) rutschte mit 41,9 Prozent auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis und stellt 15 Abgeordnete.
  • Das Team Köllensperger ist der klare Wahlsieger. Die letzte Umfrage vor der Wahl taxierte die Partei auf acht Prozent. Bei der Wahl erhielt sie fast doppelt so viel (15,2 Prozent).
  • Das Unabhängigkeits-Lager aus Freiheitlichen (6,2 Prozent), Süd-Tiroler Freiheit (STF, 6 Prozent) und BürgerUnion (1,3 Prozent) verlor deutlich und kam auf den Stand von 2003.
  • Der Partito Democratico (PD), bislang in der Regierungskoalition mit SVP, stürzte wie in anderen Regionen ab. Die Lega gewann ungleich deutlich dazu.

Wer ist das Team Köllensperger (TK)? Das TK ist in Wahrheit vor allem Paul Köllensperger. Vor fünf Jahren schaffte der 48jährige den Landtagseinzug auf dem Ticket des als linkspopulistisch geltenden Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung). Er trat diemal losgelöst von seiner alten Partei an, weil diese einer nationalen Logik folge und für Südtirol deshalb keine vernünftige Lösung sein kann. Köllensperger fiel durch Nähe zu seinem Wahlklientel auf. Wofür er steht, ist allerdings schwer zu sagen. Am ehesten damit: neuer Politikstil. Ansonsten vereint er leichte EU-Bürokratie-Skepsis mit ökologischen und regionalen Themen mit teils zweifelhafter Relevanz („Regiogeld“).

https://twitter.com/Oliver_Kainz/status/1054393780206477312

Warum stürzte das Unabhängigkeitslager ab? Die Freiheitlichen stellten sich in den vergangenen fünf Jahren nicht nur sehr oft selbst ein Bein und fielen jedes Mal darüber. Sie begannen dann vor einigen Monaten auch noch, sich gegenseitig zu bekämpfen – in den Medien. Und das war nicht die Schuld der teilweise verhaßten Presse. Die Süd-Tiroler Freiheit verlor im Vergleich zu den blauen Kollegen fast gar nichts. Ihr Stimmenverlust dürfte größtenteils auf das Fehlen von Eva Klotz zurückzuführen sein. Klotz war eine Politikerin eigenen Kalibers, die so schnell nicht zu ersetzen ist. Sie kehrte Ende 2014 dem aktiven Politikgeschäft aus familiären Gründen den Rücken.

Warum kam die SVP so glimpflich davon? Zum einen dürfte die Parteibindung der Südtiroler noch immer sehr groß sein. Zum anderen waren die Bauern in der Partei gut aufgestellt – sie spielen in Südtirol noch immer eine gewichtige Rolle. In den großen Tal-Bezirken Pustertal und Vinschgau kam die SVP jeweils auf über 50 Prozent. In den ladinischen Gemeinden und im Sarntal sogar auf über 60 Prozent. Dennoch bekam ein SVP-Kandidat die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit der vergangenen fünf Jahre deutlich zu spüren: Arno Kompatscher. Der Landeshauptmann verlor fast 13.000 Vorzugsstimmen und kam auf rund 68.000. Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder hatte sein Ergebnis nach der ersten Legislaturperiode steigern können.

Und damit stellt sich auch schon die nach der Wahl wohl interessanteste Frage: Wie geht es weiter? Wer wird regieren? Genauer: Mit wem wird die SVP regieren?

Die Sitzverteilung im neuen Landtag:

Aufgrund der Proporzregelung muß die italienische Sprachgruppe im Landesrat (Kabinett) vertreten sein (je nachdem mit ein oder wie es aussieht diesmal mit zwei Italienern). Weil beim TK kein Abgeordneter italienischer Muttersprache in den vorderen Reihen zu finden ist, bleiben der SVP zwei Möglichkeiten: Entweder sie nimmt sich die Grünen und den Partito Democratico als Partner oder die Lega. Das Bündnis SVP-PD wurde abgewählt. Der PD erhielt gerade einmal 3,8 Prozent und ein Mandat (was mit einem offenbar weltfremden Kandidaten, der das Bozner Lebensgefühl bis ins hinterste Ahrntal tragen will, ehrlich kein Wunder ist). Zusammen kamen SVP und PD auf 45,7 Prozent – exakt genauso viel hatte die Volkspartei 2013 allein erhalten. Eine Koalition mit den Grünen würde die SVP in fünf Jahren abstürzen lassen. Die Südtiroler Grünen unterscheiden sich nämlich kaum von denen weiter nördlich. Sie wollen gängeln und verbieten. Und für den Umweltschutz braucht es diese Partei in Südtirol nicht.

Bleibt also die Option SVP-Lega. Parteichef Matteo Salvini kommt auch bei Südtirolern an. Der Vorsitzende einer klassischen italienischen Rechtspartei hätte sich niemals dazu hinreißen lassen, mit Norbert Rier und einem regionaltypisch blauem Schurz auf die Spatzen-Bühne zu steigen und „Grüß Gott allen Gästen“ ins Mikrofon zu rufen und „Ein Prosit“ zu singen. Bis die neue Regierung steht werden Woche vergehen, vermutlich werden wie vor fünf Jahre zuerst Weihnachten und Neujahr gefeiert, ehe das Kabinett bekannt gegeben wird.

Die Lega wird’s

Aus der SVP war zu vernehmen, die Entscheidung sei aber schon längst gefallen: Lega. Natürlich wird die Volkspartei nun erstmal „mit allen sprechen“, es gibt aber sogar Gerüchte, wonach der Partner Lega schon vor der Wahl getroffen worden sein soll. Eine Koalition mit der italienischen Rechtspartei, die, wir erinnern uns, regionalistischen Ursprungs ist und ihre Hochburgen etwa im unabhängigkeitsbestrebten Venetien hat, brächte einen entscheidenden Vorteil: Die Lega regiert in Rom. In den ersten Monaten war sie sogar der Treiber im Bündnis mit dem M5S. Die SVP wird sagen können: Mit der Lega als Partnern haben wir einen noch besseren Draht zu Rom und können uns dort besser behaupten. Und das wird das wirtschaftliche stabile Südtirol auch müssen, je nachdem, ob sich die Lega oder der M5S in den wirtschaftlichen Fragen durchsetzt. Außerdem kann die Sammelpartei sagen, die Schwesterpartei regiert in Wien ja auch mit den vermeintlich Schlimmen. Arno Kompatscher, da bin ich mir sehr sicher, wird das Bündnis mit der Lega nicht wollen. Er ist der Typ, der auch mit den Grünen regiert, wenn er dafür Lob aus dem Ausland – inkl. Italien – erhält. Doch er schnitt nicht gut ab bei der Wahl. Und es gibt Vernünftige in der SVP, die das Beste aus der aktuellen Lage machen wollen.

MATTEO SALVINI ALLA FESTA DI CASTELROTTO/KASTELRUTH (14.10.2018)

Splendida accoglienza a Castelrotto/Kastelruth! Sono qua per UNIRE due comunità, quella italiana e quella tedesca, che vogliono un po' di sicurezza e di lavoro in più, un po' di immigrati in meno, e un'Europa che non rompa troppo le scatole. Domenica prossima, sia a Bolzano che a Trento si può fare la storia, sarà un segnale per tutta Europa.#domenicavotolega

Gepostet von Matteo Salvini am Sonntag, 14. Oktober 2018

Wie auch immer sich die Volkspartei und ihre Einflüsterer entscheiden werden: Die kommenden fünf Jahren werden wieder viele Gelegenheiten für Opposition und Journalisten bieten, die Landesregierung zu kritisieren. TK wird zeigen müssen, ob es über ein bestimmtes „Lebensgefühl“ und einen „neuen Politikstil“ hinaus auch in der Südtiroler Alltagspraxis Konstruktives beitragen kann – und das ist in diesem kleinen Land manchmal zeit- und kraftraubender als man denken könnte. Die Freiheitlichen müssen sich erneuern – diesmal wirklich und zwar richtig. Die Einwanderungskrise ist noch lange nicht vorüber und bietet eine Chance. Die Blauen dürfen sich aber nicht darauf beschränken und es beim „Ängste schüren“ belassen. Auch wenn die Doppelpaß –Frage keine Katze hinter der Ofenbank hervorlockte, die Identitätsfrage ist virulent. Die STF kann darauf aufbauen und sollte ihren ruhigen Ton beibehalten.

Und die Bürger? Für die ist es am besten, wenn die neue Regierung nicht allzu viel und allzu schnell voranbringen will und die Wähler vor allem mit neuer Bürokratie in Ruhe läßt. Warum sollte es nicht auch einmal besser werden?

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