Ich habe die Neue Zürcher Zeitung abonniert und lese die Weltwoche. In der Tageszeitung erfahre ich regelmäßig, wie gut das Rahmenabkommen für die Schweiz sei. In dem Wochenblatt werden dann diese Argumente auseinandergenommen und die Gefahren einer engen institutionellen Anbindung an die Europäische Union aufgezählt.

Sie haben sicherlich das Ergebnis der EU-Parlamentswahl mitbekommen. Zusammengefaßt läßt sich sagen: Die EU-kritischen Kräfte haben deutlich zugelegt. In Italien triumphierte die Lega von Matteo Salvini, in Großbritannien stellt die erst vor wenigen Monaten gegründete Brexit-Partei von Nigel Farage die meisten Abgeordneten im neuen EU-(Pseudo-)Parlament. Marine Le Pen besiegte den verblassenden französischen Sonnenkönig Emmanuel Macron. In osteuropäischen Ländern blieben die EU-skeptischen Parteien stark oder konnten, wie in Polen die PiS, sogar an Stimmen gewinnen. Auch in Deutschland, dem größten EU-Mitgliedsstaat, verbesserte die AfD ihr Ergebnis von vor fünf Jahren.

Die Unzufriedenheit mit dem Brüsseler Bürokratiemonster wird immer größer. Aber: Die EU-Zentralisten stellen immer noch eine Mehrheit. Sie werden den Herausforderern auch nicht entgegenkommen und die EU-Integration der Nationalstaaten bremsen. Das Gegenteil ist zu erwarten. Und dabei sind wir schon beim Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Ist es sinnvoll, einen Vertrag einzugehen, wenn damit eine, wie es je nach Position heißt, „automatische“  oder „dynamische“ Übernahme eines fremden Rechts in so wichtigen Politikfeldern wie der Personenfreizügigkeit einherginge? Ich denke nicht.

Schweizer Vernunft paßt nicht zum Brüsseler Chaos

Ich besuchte fünf Jahre lang die Sportoberschule in Mals, einem kleinen Ort im Westen Südtirols nahe der Schweizer Grenze. In meiner Klasse waren auch mehrere Schweizer. Ich erlebte sie als fast schon klischeehaft alpenländisch-bodenständig und vernünftig. Ähnlich wie die weltweit geschätzte Schweizer Unternehmerkultur. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Es ist für mich ganz klar unvernünftig, ein Abkommen einzugehen, bei dessen Kündigung aufgrund einer sogenannten Guillotine-Klausel bereits bestehende Vereinbarungen außer Kraft treten. Die Schweizer Mentalität paßt nicht zu einem – man kann es nicht anders sagen – chaotischen Politikgebilde, wie es die EU ist.

Sie glauben mir nicht? Dann werfen Sie einen Blick auf die Einwanderungspolitik, bei der seit 2015 keine Ruhe eingekehrt ist und die EU weitere Folgen dieser Krise verschiebt, indem sie Millionen Steuergelder nach Ankara überweist, damit der starke Mann dort die Schleusen nicht all zu weit öffnet. Oder schauen Sie auf die Finanzpolitik, den aktuellen Streit zwischen Brüssel und Rom. Analysieren Sie die Binnenwanderung beispielsweise von Osteuropa gen Westen. Schlimmstenfalls könnten die Schweizer nicht mehr frei über Ausländer-, Sozial- und Steuerpolitik bestimmen. Kein Unternehmen würde solch einen Bad Deal eingehen.

Und eines ist klar: Die Schweiz wäre Nettozahler. Wenn der scheidende EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker von einem „geostrategischen Unding“ spricht, wenn er die Schweiz meint, dann hat das nicht nur mit einem Schandfleck im ideologischen Gebilde der EU-Zentralisten zu tun, sondern auch mit Geld und Macht. Wenn die Kommission wie vorige Woche geschehen die „positive Entwicklung“ zum Rahmenabkommen lobt, dann sollten Schweizer, die ihr Land so schätzen wie es ist, die Ohren spitzen.

Die EU sollte mehr Schweiz wagen – nicht umgekehrt

Moment, werden Sie sagen, der Steinwandter hat als Südtiroler mit der EU doch nur Vorteile erfahren. Mit dem Schengenabkommen fielen die Grenzbäume am Brenner, am Reschen und in Winnebach weg. Dank der gemeinsamen Währung kann er in Süd-, Ost- und Nordtirol gleichermaßen zahlen. Das ist richtig. Für Südtirol ist eine schlechte EU immer noch besser als gar keine EU. Denn gar keine EU bedeutet 100 Prozent Rom und damit haben wir selten gute Erfahrungen gemacht.

Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Die EU sollte mehr Schweiz wagen und nicht umgekehrt. Liebe Schweizer, wenn Sie vorgehalten bekommen sollten, das Rahmenabkommen sei „alternativlos“, fallen Sie nicht darauf herein. In der Politik ist nichts alternativlos. Das beweisen auch die in Aussicht gestellten Abkommen zwischen den USA und der Schweiz mit dem Post-Brexit-Großbritannien.

Binden Sie sich zu sehr an die EU, wird die EU Sie verändern. Indirekt oder direkt: Als Player im permanenten Abwehrkampf gegen Brüsseler Bürokratie und Zentralismus, oder im Aufgehen in einem künftigen EU-Superstaat. Also: Bleiben Sie, wie Sie sind. Bleiben Sie vernünftig und auch stur. Am Ende knickt Brüssel ein.


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